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243 Tage oder 349 920 Minuten Reiseglück

Natürlich hatten wir nicht immer nur Glück auf unserer Reise. Da schepperte schon mal der Auspuff über den lettischen Asphalt. Da tropfte mal das Regenwasser auf unser Faultier. Oder es entpuppte sich der schmale Feldweg, an dessen Ende einer der schönsten Plätze hätte liegen können, als Sackgasse.

 

Das alles und noch viel mehr gehört aber zu einer solchen Reise dazu. Keine Minute war verschwendete Zeit, wenn ich bedenke, was ich dabei alles über mich, das Reisen und das Leben gelernt habe.

 

Im März 2017 haben wir uns ein 45 Jahre altes Feuerwehrauto Modell Mercedes 408 gekauft, es auf den Namen „Olga“ getauft und nach unserem Sinne ausgebaut. Wir waren auf 18.000 Kilometern und mit unseren vier Hunden unterwegs. Dabei haben wir 17 Länder durchfahren und erfahren.

 

In drei Meeren waren wir auf diesem Trip schwimmen. Haben erst in der Ostsee gebadet, als wir deren Küste in Polen, Litauen, Lettland und Estland entlangfuhren. Ein kurzer Abstecher führte uns durch die Ukraine. Dann folgte in Rumänien und Bulgarien das Schwarze Meer. In Griechenland steckten wir, obwohl es mittlerweile Oktober war, unseren großen Zeh ins Mittelmeer und taten das dann den gesamten Winter über immer wieder. Auf der Rückreise durchquerten wir die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Albanien, Montenegro, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Österreich und Tschechien.

 

Mal auf einem zugefrorenem Meer entlangwandeln, das wäre mal was. Aber ganz so kalt war es dann doch nie.

 

 

 

Wenn man mit durchschnittlich 70 km/h unterwegs ist, hat man gegenüber den schnelleren Verkehrsteilnehmer, die hinter einem hupen und blinken, einen entscheidenden Vorteil. Man hat Zeit! Zeit zum Umschauen. Zeit zum Erkennen. Zeit zum Winken. Und wenn man mit einem feuerroten Feuerwehroldtimer aufkreuzt, gehört das Winken zum Standard.

 

Einmal in Lettland, im Stadtverkehr, fuhr neben uns ein Polizeiwagen immer gleichauf. Darin saßen zwei Polizistinnen, die uns weder anhalten, noch eskortieren wollten. Die beiden Mädels wollten nur mal winken. Daumen hoch!

 

Auch in Bulgarien überraschten uns zwei, diesmal männliche, Polizisten. Wir hatten in einem verlassenen Steinbruch geparkt und ein kleines Lagerfeuer entzündet. Die beiden rollten heran, kurbelten die Scheibe herab und sprachen uns an. Auf Bulgarisch. Wir verstanden also kein Wort, vermuteten aber, dass die beiden uns vielleicht darauf hinweisen wollten, das ein Lagerfeuer nicht erlaubt wäre. Bevor wir die Sache klären konnten, waren sie allerdings schon wieder in aller Ruhe abgedüst. Was soll schon passieren, wenn neben einer Feuerwehr ein kleines Feuerchen flackert?

 

Und in Rumänien kontrollierte uns ein Verkehrspolizist, weil wir keine Sicherheitsgurte angelegt hatten. Vor 45 Jahren wurde die Olga tatsächlich ohne Gurte ausgeliefert und muss nach deutschem Gesetz so auch heute keine Gurte tragen. Wahrscheinlich nützt einem das deutsche Gesetz in Rumänien wenig. Vielmehr hilft einem dann das Gespräch über die Reise, die Entfernung und das alte Auto. Der gute Mann ließ uns weiterziehen und wir legten dann doch mal die Gurte an, welche wir in Deutschland für solche Fälle nachgerüstet hatten.

 

 

 

Die Klassikerfrage an jeden Langzeitreisenden ist jene, nach dem allerallerschönsten Land, welches man je bereist hat. Diese Frage erinnert mich an mein Philosophiestudium und die damit verbundene Klassikerfrage, was man damit mal arbeiten möchte.

 

Philosophisch könnte auch die Antwort des Weltenbummlers ausfallen, denn wie sollte man sonst überhaupt antworten können.

 

Zunächst ist nicht das Land oder jenes Land schön und dieses oder jenes andere Land ist demnach weniger schön. Schön sind Landschaften, Menschen, Situationen, Sprache, Gesten und Erfahrungen.

 

Schön war für mich zum Beispiel der Blick von (fast) ganz oben auf die sieben Seen des Rila-Gebirges in Bulgarien. Schön war es allein am Strand von Kap Pössaspea in Estland zu sitzen, den Wellen beim Schlagen, den Möwen beim Kreischen und der Sonne beim vorüberziehen zuzusehen.

 

Es war auch schön mit unserem rumänischen Freunden in Campulung an einem Tisch zu sitzen. Wo wir eingeladen waren zu einem üppigen Abendessen bei Gesprächen in Deutsch, Rumänisch und Englisch. Und im Haus überall Hunde. Das war schön.

 

Schön war der Moment in Griechenland, als unser Auto wieder problemlos lief. Schön war es aber auch, als das Auto mal nicht richtig lief und wir in Patras in einer Mercedes-Werkstatt zu Souflaki vom Grill und Cola aus dem Becher eingeladen wurden.

 

 

 

Als wir unsere Reise antraten hatten wir nur einen groben Plan im Kopf und ließen vieles einfach auf uns zukommen. Noch in Polen quetschten wir uns durch überfüllte Touristenmeilen in Gdansk, in den Masuren oder anderswo. Das ließen wir später öfter bleiben und suchten uns vielmehr die stillen, die abseitigen, die leeren und damit freien Plätze. Getreu dem Motto: Lieber den Abdruck einer Bärentatze neben dem Wagen als die Schnarchgeräusche des Campingnachbarn im Ohr.

 

Die Geschichte mit der Bärentatze erlebten wir in Rumänien, wo wir auf den Ruinen der ehemaligen Bergbausiedlung Tarnitsa nächtigten. Über Nacht hatte es geregnet und als ich am nächsten Morgen als Erster aufstand, blickte ich, mit der Zahnbürste im Mund, auf die Spur des Meister Petz.

 

In Zarnesti besuchten wir später einen Bärenpark. Dort werden seit einigen Jahren ehemalige Tanzbären oder Zirkusbären aufgenommen und können dort in weiträumigen Grünanlagen ihren Lebensabend genießen. Nicht immer klappt es aber mit der Verhütung und so gibt es auch im Bärenpark Nachwuchs. Über Spenden und Besuchergruppen finanziert sich dieser Verein.

 

Als wir den Park verließen sprachen uns einige deutsche und israelische Touristen auf unser Auto aber vor allem auf die Hunde an. Kurze Zeit später erreichten wir Bran, wo das Dracula-Schloss steht. Und auch das israelische Paar erkannte uns dort wieder, sprach uns erneut an und lud uns ein. Nun haben wir eine Einladung an den See Genezareth. Der Israeli sprach Deutsch. Seine Mutter kam aus dem Münsterland und war vor den Nazis geflohen.

 

Auch das kann Reisen sein. Deutsche, Israelis, Juden, Atheisten, jungen und ältere Menschen treffen sich in Rumänien, wo einst Graf Dracula gelebt haben soll. Irre!

 

 

 

Mindestens so irre war die zufällige Begegnung mit Gustav. An einer Straße in Polen stand er, streckte den Arm aus und wir hielten an, um ihn ein Stück mitzunehmen. Gustav kam von einem Besuch bei seiner Familie in Tallinn und war als Tramper auf dem Weg nach Leipzig. Meine Heimatstadt!

 

In Leipzsch hatte Gustav ein soziales Jahr absolviert, in einem Waldkindergarten gearbeitet und wollte nun dort bleiben, um zu studieren. Wir hatten uns vorgenommen, dass wir Tramper gern mitnehmen, wenn sie uns sympathisch erscheinen. Und mit Gustav konnten wir sogar Deutsch reden.

 

Gustavs Heimatstadt Tallinn ist übrigens wirklich sehenswert. Auf einem Markt erstand ich dort wirklich wohlschmeckenden Fisch. Kalt geräucherter Lachs am Stück. Ja, auch kulinarisch lohnt sich das Reisen. In jedem Land versuchten wir ein bisschen von dem mitzubekommen, was die Einheimischen essen, trinken, tun.

 

In Griechenland aßen wir Souflaki, Pita, Gyros, Feta. In Rumänien gab es saftige Tomaten und Baumstrietzel. Entlang der Ostseeküste hielten wir stets Ausschau nach Räucherfisch. Am Besten direkt aus dem Ofen oder vom Marktstand. In Albanien, wo ganz viele Leute italienisch sprechen, da durfte es sogar mal ein Pizza sein. Aus einem Laden, wo man den Pizzateig noch in den Luft wirft, wieder auffängt und nach dem Belegen in einen echten Steinofen schiebt, in dem ein echtes Feuer glüht.

 

 

 

Überhaupt ist es immer sehr interessant und aufschlussreich, wenn man in fremden Ländern den alltäglichen Dingen nachgeht. Dem Einkauf zum Beispiel, während dem man so viel beobachten kann.

 

Wir haben eine Weile am Golf von Korinth verbracht und dort war ich oft in dem kleinen Städtchen Nafpaktos einkaufen. Ach, wie war das herrlich! Diese kleinen Obst und Gemüseläden, wo man nur das bekommt, was gerade reif und regional zu haben ist. Diese kleinen Bäckereien mit den vielen Süßspeisen.

 

Gutes, dunkles Brot findet man zwar außerhalb Deutschlands kaum. Dafür unzählige Sorten Weißbrot in verschiedensten Größen und Formen.

 

In Gythio kamen wir nach einer stürmischen Nacht an, in der dort ein Stromausfall alle Kühltruhen lahmgelegt hatte. Ich klapperte vier Supermärkte ab, bevor ich einen fand, bei dem offenbar das Notstromaggregat rechtzeitig angesprungen war. Während in den anderen Läden gähnende Leere herrschte, konnte ich dort Käse und zehnprozentigen Joghurt kaufen.

 

 

 

Ebenso erfahrungsreich kann ein Tierarztbesuch sein. In Griechenland wurden unsere zwei flauschigen Gesellen Nella und Wenzel nach der Impfung mit Parfüm eingesprüht und einer Munddusche unterzogen. Noch nach Tagen war dieser ekelhafte Geruch nicht aus dem Auto, den Decken und dem Hundefell verflogen.

 

 

 

Nach den Menschen und Tieren, ist nun unsere Olga an der Reihe. Wir haben weniger Werkstätten gesehen, als wir in unseren schlimmsten Vorstellungen befürchtet hatten. Einmal in Lettland und einmal in Bulgarien, wo man uns den Auspuff jedes Mal wieder flickte. In Griechenland waren es dann ein paar Werkstätten mehr.

 

Dabei lernten wir, dass jede gute griechische Autowerkstatt ihren Jannis hat. Der Jannis kann im Idealfall Englisch und kümmert sich um die Deutschen. Also um uns. Den Jannis aus der Renault-Werkstatt bei Nafpaktos, wo aber auch alle anderen Marken verarztet werden, trafen wir später sogar in einem Süßwarenladen wieder, wo er uns die Auslage erläuterte, da die Verkäuferin kein Englisch sprach.

 

Nun sind wir wieder in Deutschland und die Olga steht seit ein paar Tagen in der Werkstatt. Undenkbar sowas in Griechenland, wo es üblich ist, bei seinem Wagen zu bleiben. Was es wiederum schwierig macht, wenn man zum ersten Mal eine Werkstatt aufsucht, den richtigen Ansprechpartner zu finden. Meist ist es aber der mit der Schmiere an den Fingern oder der, von dem nur noch die Beine unter einem Auto hervorschauen oder doch derjenige, welcher gerade telefoniert, während er bei einem verbeulten Geländewagen mit laufendem Motor unter der Motorhaube hantiert.

 

Einmal sprach ich stundenlang mit einem 75jährigen Mann, der am Vergaser unseres Autos herumdrehte, bis ich begriff, dass er gar nicht in dieser Werkstatt arbeitete. Er sagte zu mir, dass die Mechaniker in Griechenland noch mit dem Herz und nicht mit einem Blick in den Geldbeutel des Kunden ans Werk gehen würden. Und wenn eine deiner zwei Benzinpumpen defekt ist, dann fahr doch nur mit einer. Solange es geht, ist doch alles im Lot. Und wenn es dann nicht mehr geht? Dann bist du zwar am Arsch aber du bist in Griechenland, wo du immer einen finden wirst, der dir weiterhilft.

 

 

 

Als unsere Nella mal verschwunden war und eine Nacht in den Wäldern verbrachte, half uns Matthew. Er suchte mit uns nach dem Hund, brachte uns Essen, brachte uns Trinken, rief seine Nachbarn an und versuchte uns Hoffnung zu geben. Nella fand ich dann wieder und Matthew haben wir unsere Kontaktdaten hinterlassen, über die er sich dann sogar nochmal gemeldet hat.

 

Unsere vier Hunde haben die lange Reise sehr tapfer gemeistert. Haben Hitze, Kälte, Nässe und Meerwasser gut überstanden. Sie haben unser Auto, in dem auch ihr Hundefutter war, gegen Streunerbanden, Passanten und andere Eindringlinge verteidigt. Reisen ohne unsere Hunde wäre unvorstellbar und hat sich als durchaus praktikabel herausgestellt.

 

Selbst unsere vielen Gedanken über eventuelle Probleme an den Grenzen haben sich meist als wichtig aber unberücksichtigt erwiesen. Obwohl wir gut vorbereitet waren, hat sich lediglich der Zöllner an polnisch-ukrainischen Grenze dazu hinreißen lassen, seinen Job wichtiger zu nehmen, als er wahrscheinlich ist.

 

 

 

Vom Balkan haben wir leider nicht so viel sehen können, wie wir uns das gewünscht hätten. Was wir sahen, hat aber deutlich dafür plädiert, nicht zum letzten Mal dort gewesen zu sein.

 

Unbedingt wollen wir beim nächsten Mal die Berge Montenegros sehen und dort hoffentlich weniger Touristen treffen, als an den zugebauten Küsten. Reizvoll bleiben auch die Balkanländer, die wir nur sehr kurz oder gar nicht sehen konnten, wie Bosnien oder Serbien. Es gibt noch so viel zu sehen, zu erleben und zu entdecken.

 

Was wir in den letzten neun Monaten erlebt haben, kann man hier auf dem Blog nachlesen. Dieser Blog endet mit diesem Bericht vorerst auch wenn die abenteuerliche Lebensreise weitergeht. Wir danken allen Weggefährten.

 

 

 

Auf bald!

 

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Kommentare: 4
  • #1

    TanjaTue (Mittwoch, 14 März 2018 13:36)

    Danke schön für die tolle Zusammenfassung Eurer Reise. Mir ist richtig das Herz aufgegangen, als ich gelesen habe, dass Ihr mit 4 Hunden reist. Wie habt Ihr das mit den Impfungen für die Hunde gemacht, schaut man wirklich an den Grenzen so da drauf? Ich bin nicht so ein Impf-Freund. LG

  • #2

    Norman (Mittwoch, 14 März 2018 14:12)

    Einfach nur schön ... und ein großes Dankeschön für die vielen Berichte und wundervollen Fotos!

  • #3

    Olgabewohner (Mittwoch, 14 März 2018 17:11)

    Hallo Tanja, danke für deinen lieben Kommentar!
    Wir wollten weder das Infektionsrisiko noch das Theater an der Grenze eingehen und haben die Hunde geimpft. Sie hatten auch viel Kontakt zu Streunern, die nicht alle ganz gesund aussahen.
    Obs auch ohne Impfungen geklappt hätte, wissen wir daher nicht.

  • #4

    Axel (Sonntag, 18 März 2018 14:36)

    Toller Blog, den ich laufend gelesen habe und viel über die bereisten Länder erfahren habe ...
    Ich wohne seit über 30 Jahren auch in Quenstedt, kenne Euch persönlich aber nicht. Vielleicht wird's noch ...